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Ein analoger Wecker mit dunklem Hintergrund

Stop the clock? – Verantwortung kennt keine Anwendungsschwellenwerte

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Mit dem Omnibus-Paket der EU-Kommission sollen Unternehmen von umfangreichen Berichtspflichten entlastet werden. Doch während Teile der Wirtschaft applaudieren, bleibt die Frage: Wie wirkt sich das auf Transparenz und Klimaziele aus? 

Ein Kommentar von Gero Gosslar.

Die Europäische Kommission hat am 26.02.2025 das sogenannte Omnibus-Paket vorgelegt, in dem sie weitreichende Erleichterungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Lieferkettensorgfaltspflichten vorschlägt. Der Entwurf wird in den kommenden Wochen im EU-Parlament und mit den Mitgliedsstaaten verhandelt. 

Mit dem Credo „Stop the clock!“ verkündeten die zuständigen EU-Kommissar:innen in Brüssel selbstbewusst, die hiesige Wirtschaft von unliebsamer Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD, der Taxonomie und der CSDDD und CBAM zu befreien. Für die meisten betroffenen Unternehmen soll es einen zeitlichen Aufschub bis 2028 geben. Die deutliche Verkleinerung der Anwendungsbereiche soll zudem den Kreis der berichtsverpflichteten Unternehmen um 80 Prozent eindampfen. Damit ist für viele Unternehmen der Druck weg, über die Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells bereits im laufenden Geschäftsjahr 2025 zu berichten. Mid-Cap-Unternehmen werden indes gänzlich von den Pflichten befreit. Die Kernbotschaft der Europäischen Kommission ist denkbar simpel: Entbürokratisierung und Vereinfachung zur Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Die Reaktionen[1] sind breit gefächert: Die Nachhaltigkeitsbubble diskutiert – überwiegend mit sich selbst – den massiven Ausverkauf der Transparenzvorschriften und die Aushöhlung des Green Deals. Größere Wirtschaftsverbände applaudieren – ebenfalls überwiegend mit sich selbst – der Politik zu, die jetzt endlich verstanden hat. Und bislang zu wenig beachtet: Einigen geht es noch gar nicht weit genug. Sie hatten sich schon im Entwurf auch echte inhaltliche Abschwächungen gewünscht und nicht erst in nachgelagerten konsultationsintensiven Rechtsgebungsverfahren. 

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Ein Zug mit Lieferungen fährt an einem Feld vorbei, im Hintergrund ist die Abendsonne zu sehen. Das Bild wurde mit Fischaugenperspektive aufgenommen
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Alles lässt sich sicher hören! Doch je lauter es wird, desto weniger hört man sich zu!

In Jahren historischer konjunktureller Dellen, drohenden Handelskriegen und exzessiven globalen Wettbewerbs, muss Politik die Prioritäten neu setzen dürfen. Wenn das seinerzeit noch FDP-geführte Bundesministerium der Justiz im letzten Jahr den Bürokratiemehraufwand der CSRD ab 2028 allein für Deutschland auf knapp 1,6 Mrd. jährlich geschätzt hat, kann Politik das nicht ignorieren. Und auch die Aufwand-/Nutzen-Frage wurde immer wieder gestellt: Lohnt es wirklich, dass ein überwiegend nicht nachhaltiges Unternehmen, akribisch über seine Nicht-Nachhaltigkeit berichtet?

Auf der anderen Seite: Was wird aus dem Vorwurf des Greenwashings, dem die CSRD einen endgültigen EU-weiten Riegel vorschieben wollte? Das bleibt nun aus, denn die freiwilligen Berichtsstandards werden kaum an die Transparenztiefe der CSRD-Pflichten heranreichen – gleichwohl müssen sich Unternehmen weiterhin an die Green Claims Directive halten. Die CSRD hätte zudem die Unterschiede der Wettbewerber erkennbar gemacht und die Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit weiter dynamisiert. Ferner fragt man sich wirklich, ob eine de facto Deregulierung die richtige Reaktion darauf ist, wenn große fossile Wirtschaftsunternehmen, Kreditinstitute und Finanzdienstleister in den letzten Monaten ganz nonchalant ihre Abkehr von selbst gesetzten Dekarbonisierungsstrategien erklärt haben.

Und dann ist da noch das einzig höchstpolitische Thema: Die Änderungen an der CSDDD. Durch die Eingrenzung auf direkte Geschäftskontakte endet die Transparenz zur Lieferkette im unmittelbaren Umfeld. Es wird ein Leichtes sein, durch zwischengeschaltete Handelsgesellschaften die Transparenz dort abbrechen zu lassen, wo sie tatsächliche Missstände bislang erkennbar gemacht hätte.

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Ein Frachtschiff auf dem Wasser aus der Vogel- oder Drohnenperspektive
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Ist nun also alles vergossene Milch?

Bild von Gero Gosslar
First-Mover-Unternehmen, die bereits umfassend in ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung investiert haben, befürchten, dass nun alles umsonst war. Und die bislang Zögerlichen haben hingegen die Sektkorken knallen lassen. Beide liegen falsch.
Name
Gero Gosslar
Position (Untertitel)
Partner bei phiyond by adelphi
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Die bisherigen Anstrengungen in Nachhaltigkeit sind nicht vergebens. Viele Elemente der CSRD-Berichterstattung haben für die Unternehmen sehr wertschöpfende Erkenntnisse gebracht, die sie jetzt weiterhin strategisch einsetzen sollten. Auch die Kommission hat betont, dass die unangetasteten Klimaziele weiterhin nur mit guten Nachhaltigkeitsfahrplänen der gesamten Wirtschaft erreicht werden. Wegfallende Berichtspflichten bedeuten doch also nicht wegfallende Klimaneutralitätspflicht. Und allein aus Eigeninteresse sollte man diese weiterverfolgen. Absehbar steigende CO2-Preise machen das Investment in Dekarbonisierung und Klimaneutralität auch kaufmännisch zum no-brainer. Investitionen in Dekarbonisierung bleiben weiterhin unverzichtbar, um Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen. Kluge Unternehmer:innen nehmen nun also ihren Anteil der zuvor genannten 1,6 Mrd. EUR und investieren in ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Und diese geht auf, das Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit vereint werden, statt sie ständig zu spalten.

Übergeordnet der unternehmerischen Interessen steht die Frage der gesellschaftlichen Verantwortung der Wirtschaft. Hierzu zwei Beobachtungen:

  1. Verantwortung kennt keine Anwendungsschwellenwerte, wir tragen sie alle.
  2. An der Klimakatastrophe perlt das „Stop the clock!“ ab. Hier stoppt nichts, was wir nur sagen, aber es nicht tun.

[1] Stimmen zu den Omnibusvorschlägen | Sustainability | Haufe


Dieser Meinungsbeitrag erschien ursprünglich am 11. März 2025 auf Haufe.de.